{Designerin des Monats}

Die Schweiz gilt als neutrales Land. Vielleicht liegt es an der politischen Zurückhaltung, dass sie in der allgemeinen Wahrnehmung oft keine allzu große Rolle einnimmt. Was natürlich etwas unfair ist: Deutschlands südlicher Nachbar hat unheimlich viel zu bieten – auch stricktechnisch. Da gibt es große Geschichten, wie die des Garnherstellers Lang Yarns aus dem Wiggertal. Und es gibt die kleinen Geschichten, wie die der Strickdesignerin Simone Ryan aus Zürich. Um die soll es heute gehen. Denn nur, weil jemand auf den ersten Blick kleiner scheint, ist er nicht weniger bedeutsam. 

Simone Ryan
Simone Ryan alias Rust Knitwear. Foto: © Simone Ryan

Simone kennen viele unter ihrem Künstlernamen Rust Knitwear. Daran kann man gleich zwei persönliche Dinge erkennen: Zum einen, dass Englisch eine große Rolle in Simones Leben spielt – ihre Wurzeln liegen zum Teil in den USA. Und zum anderen, dass Rosttöne ihre Lieblingsfarben sind. Ähnlich wie die Schweiz selbst, die gleich mehrere Amtssprachen hat, ist Simone mehrsprachig unterwegs. Neben Hochdeutsch spricht sie auch Englisch und Schweizerdeutsch. Das Stricken hat sie in der Schule gelernt. “Meine Oma hat auch immer gestrickt”, erzählt sie. “Das hat mich natürlich geprägt.” 

Puppenkleidung entworfen 

Und so zieht sich das Stricken durch ihr Leben. So richtig nach Anleitungen hat Simone nie gestrickt. Stattdessen hat die 30-Jährige Kleidung selbst entworfen – auch und besonders für ihre große Tochter und deren Puppen. “Das war vielleicht nicht unbedingt immer schön”, sagt sie lachend, “aber der Wunsch selbst etwas zu kreieren, war immer da.” Mit der Pandemie hat Simone Ravelry und Instagram für sich entdeckt – und ist bis heute begeistert von dem dortigen Gemeinschaftsgefühl. Es sind auch die Personen aus der virtuellen Strickgemeinschaft, die sie darin bestärken, sich weiter dem Designen zu widmen. Mindestens genauso wichtig: “Es haben sich auch echte Freundschaften daraus ergeben”, erzählt sie.  
 

Lines Slipover
Rostrot als Wiedererkennungswert: z.B beim Lines Slipover. Foto: © Simone Ryan

Dieses Gemeinschaftsgefühl, das Simone im Gespräch beschreibt, findet sich auch auf ihrem Instagramaccount wieder. Dort gibt sie viele Einblicke in ihre Arbeit und auch ein Stück weit in ihr Familienleben. Teststricks zu teilen oder das neueste Modell einer anderen Designerin zu bewerben, gehört für Simone dazu. Gleichzeitig zeigt sie auch, wie die Entwicklung ihrer eigenen Modelle, die eine breite Größenpalette abdecken, abläuft. “Ich bin total prozessverliebt”, sagt sie. Das kann dann auch schon mal dazu führen, dass sie sich an einer Stelle so lange festbeißt, bis es wirklich passt.

Aufregender Alltag 

Ihre Offenheit spiegelt sich auch darin wider, dass sie ihrer virtuellen Strickgemeinschaft im vergangenen Sommer ganz ehrlich von der Trennung von ihrem Partner berichtet. “Das hat meine Welt auf den Kopf gestellt”, schrieb sie damals. Doch auch hier zeigt sich wieder die schöne Seite des Internets. Die mittlerweile zweifache Mutter erhält viel Zuspruch und gute Wünsche.  

Im Alltag ist sie trotzdem weitestgehend auf sich gestellt. Einige wenige Stunden in der Woche gehören ihr allein. “Ich arbeite viel abends”, erläutert Simone. “Aber auch beim Frühstück beantworte ich schon mal ein paar E-Mails oder stricke auch mal nebenbei.” Ihre Kinder kennen das und es ist in Ordnung für sie. “Und je besser ich Aufgaben erledigt habe, umso mehr kann ich mich danach ganz auf sie konzentrieren.”

Hier kommt auch ein bisschen Simones eigentlicher Berufszweig durch: die Psychologie. Das Studium pausiert sie gerade zugunsten der Familie, aber auch wegen ihrer Selbstständigkeit. Vielleicht weiß die junge Mutter deswegen besonders gut, wie wichtig auch die Gesundheit der Psyche ist. “So wie es jetzt ist, ist es für meine mentale Gesundheit am besten”, sagt sie – und man glaubt es ihr sofort. 

Bequem und alltagstauglich, aber nie langweilig  

Es geht also weiter bei Simone. Aktuell arbeitet sie an einer Anleitung für ein Shirt, das man wahlweise mit kurzen oder mit langen Ärmeln stricken kann. Für den Herbst ist noch ein Strukturcardigan geplant und ein Projekt, von dem sie erst zu gegebener Zeit noch mehr verraten kann. Alles immer der Reihe nach: Rust Knitwear ist ein Ein-Frau-Unternehmen. Das Grading – also die Berechnung der unterschiedlichen Größen beim Stricken – hatte Simone zwischenzeitlich ausgelagert. “Aber jetzt mache ich es wieder selber”, erzählt sie. Die Betreuung im Teststrick sei zu aufwendig gewesen, da sie die Zahlen nicht selbst “in der Hand gehabt” hatte. Auch die Übersetzung ihrer Anleitungen, die es immer auf Englisch und Deutsch gibt, macht sie selbst. Wer eine Frage zu einem ihrer Modelle hat, bekommt die Antwort ebenfalls von ihr. 

Hector's Bonnet
Rust Knitwears Portfolie enthält auch Designs für Kinder. Hier: Hector’s Bonnet Foto © Simone Ryan

Den Schwerpunkt ihrer Arbeit macht gerade das Designen aus. Mit ihrem Podcast soll es auch weitergehen – aber so, wie es in ihren Alltag passt. “Wenn die Kinder größer sind, will ich auch als Psychotherapeutin arbeiten”, sagt Simone. Was für eine schöne Aussicht: Dass jemand, der selbst schon viel erlebt und gemeistert hat, dann anderen zuhört und hilft. 
 

{Designerin des Monats}

Wer im Internet nach der Vogelart Kolibri sucht, findet neben Beschreibungen wie “einzigartiger Flugstil” oder “Luftakrobaten” vor allem viele Bilder, die das wunderschöne Gefieder der kleinen Flugkünstler zeigen. Dass sie in so vielen Farben schimmern, liegt im Übrigen nicht an Pigmenten, sondern an der Struktur der Federn. Je nach Lichteinfall leuchten die Farben anders. 

Hinter dem Label “kolibri – by Johanna” steckt die Psychotherapeutin Johanna Böhme.
Foto: © Johanna Böhme

Leuchtende Farben, Struktur – das passt perfekt zum Thema Stricken. Und zu der Designerin Johanna Böhme, die als Namen für ihr Unternehmen “kolibri by Johanna” ausgewählt hat. Sie ist die erste, die wir in unserer neuen maschenfeinen Blogreihe “Designerin des Monats” vorstellen. 

Brainstorming mit Freunden 
 

“kolibri by Johanna” – das steht für Designs, die alle das gewisse Etwas haben. Sei es ein Pullover aus knalliger Wolle, dicke Träger zum Knoten eines Tops, Spannung im Strickprozess oder ein Modell, das beidseitig getragen werden kann. Hauptsache, es wird nicht langweilig. “Auf der Suche nach einem Namen für mein Stricklabel kamen meine Freunde darauf, dass ich immer gern etwas Neues schaffen möchte”, erzählt Johanna im Gespräch. Wie eben auch die Kolibris, die ein wendiges Flugmanöver nach dem anderen abhalten, um an frischen Nektar zu kommen. 
 

Angefangen hat bei Johanna alles mit der Oma. Auch in der Schule kam das Stricken vor. Im Gegensatz zu vielen anderen, die das Interesse an den Nadeln im Laufe des Erwachsenwerdens erst einmal verlieren, blieb Johanna dabei. “Das war jetzt nicht das coolste Hobby”, erinnert sie sich lachend, “aber ich habe es einfach gern gemacht.” Auch wenn in der Zeit nicht unbedingt “tragbare Sachen” entstanden seien, hat sich doch früh gezeigt: am besten selbermachen. 
 

Und das bezog sich nicht nur auf das Anfertigen von Kleidung an sich, sondern auch auf das Nutzen von Anleitungen. “Ich habe eigentlich nie nach Anleitungen gestrickt”, sagt die 30-Jährige. Stattdessen hat sie von Anfang an für sich selbst designt. Nach wie vor strickt die gebürtige Düsseldorferin sehr gern in Einzelteilen, auch wenn viele in der Strickwelt mittlerweile nahtlose Strickstücke bevorzugen. “Das weiß ich natürlich”, sagt Johanna und entwirft viele ihrer Modelle entsprechend nahtlos von oben nach unten.  

Piet Sweater
Es darf gern mal bunt sein. Wie zum Beispiel beim Piet Sweater.
Foto: © Johanna Böhme

Hauptberuflich Psychotherapeutin

Dass Johanna und ihr Label mittlerweile zu einer festen Größe in der Strickwelt geworden sind, liegt vielleicht auch daran, dass der Wunsch, auch im Hauptberuf kreativ zu sein, nie ganz aus ihrem Kopf verschwunden ist. Modedesign stand nach dem Abitur zum Beispiel im Raum oder eine Schneiderlehre. “Ich habe mal ein Praktikum in der Filmproduktion gemacht, aber es ist schwer, da wirklich Fuß zu fassen”, berichtet sie. So, wie es eben oft ist bei kreativen Berufen. Und dann ist da auch immer die Frage nach Sicherheit. Aus diesem Grund zog es die Düsseldorferin nach Marburg zum Psychologiestudium und schließlich zur Approbation – also zur staatlichen Berufsausübung für Heilberufe wie Arzt oder eben Psychotherapeut – nach Berlin.

Während der Ausbildung und in der Elternzeit hat das Stricken und Entwerfen von Anleitungen oft nebenbei stattgefunden. “Meistens abends auf der Couch”, erinnert sich Johanna. Vor kurzem ist sie mit ihrer Familie nach Saarbrücken gezogen, wo sie ab dem Sommer in einer Praxis arbeiten wird. Bis es soweit ist, widmet sie sich Vollzeit ihrem Strickunternehmen. 

In einer Anleitung steckt viel Zeit 

Wie es überhaupt zur Idee für ein Design kommt? Das ist ganz unterschiedlich. Mal hat sie eine Wolle, zu der sie sich etwas ausdenkt, mal ist es ein Muster, das sie entdeckt. “Ich würde sagen, dass ich einfach aufmerksam durch meine Umwelt gehe”, meint Johanna. Anschließend tüftelt sie drauf los und lässt bewusst auch Anfängerinnen teststricken. “Da werden einem Probleme bei Formulierungen ganz anders bewusst”, berichtet Johanna von ihren Erfahrungen. Trotzdem hat sie nicht den Anspruch, ausschließlich für Neulinge an den Stricknadeln zu entwerfen. Hilfe gibt es trotzdem, zum Beispiel in Form von Videos auf ihrer Homepage.  

Designs mit Wiedererkennungswert: Hier zum Beispiel der Claude Sweater.
Foto: © Johanna Böhme

Bei der Arbeit an ihren Anleitungen hat sich Johanna mittlerweile Unterstützung in Form von Tech-Editorinnen und Übersetzerinnen ins Boot geholt. Die fertigen Dateien gibt es dann nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern mitunter auch auf Französisch, Spanisch, Norwegisch oder sogar Koreanisch – entweder auf Johannas Homepage oder bei Ravelry. Rund 50 Arbeitsstunden stecken in einer Anleitung – “Und da sind noch keine Fotos oder Posts für Instagram enthalten”, ergänzt die Designerin. 
 

Bei so viel Aufwand und Leidenschaft stellt sich natürlich die Frage, ob “kolibri by Johanna” nicht doch etwas für den Hauptberuf ist? Wer weiß – Johanna ist sich da nicht sicher. Aber muss sie ja auch nicht. Vielleicht ist so eine Entscheidung wie ein Strickprozess: Am Anfang ist da eine Idee, man strickt los, muss vielleicht nochmal ribbeln und mitunter neu anfangen – aber am Ende ist es da, das fertige Strickstück. Wie auch immer es dann aussieht. 

Designer*in des Monats

Ab sofort stellen wir euch auf unserem Maschenfein-Blog Strickdesinger*innen genauer vor. Wer steckt hinter den tollen Anleitungen? Woher kommen die Ideen? Und wie ist überhaupt das Leben, wenn man Strickmodelle entwirft? Das alles erfahrt ihr dann in unseren Beiträgen. Ihr habt jemanden, über den ihr gern mehr erfahren möchtet? Dann schreibt uns eine Mail an “redaktion@maschenfein.de”.